Jahreslosung EKD - Kurschus 2023

JAHRESLOSUNG 2023

Jahreslosung EKD - Kurschus 2023

"Du bist ein Gott, der mich sieht!"

(Genesis 16,13)

Die Botschaft der EKD-Ratsvorsitzenden, Präses Annette Kurschus, zur Jahreslosung 2023:

„Du bist ein Gott, der mich sieht!“ – Dieser Satz wird uns durch das Jahr 2023 begleiten. Die Gewissheit, dass Gott mich sieht, gibt mir einen anderen Blick in die Welt, auf die Menschen und auf die Nöte der Zeit. Einen anderen Blick, als ich ihn mit meinen eigenen Augen habe. Wenn ich Gottes Augen auf mich gerichtet weiß, dann traue ich mich, meine eigenen Augen weit aufzumachen und wach hinzusehen: ungeschönt, ohne Weichzeichner, und doch zuversichtlich…“
Beitrag auf YouTube ansehen (2:11; externer Link).

Alternativ gibt es die Pressemitteilung der EKD zum Download:

Pressemitteilung

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Jahreslosung 2022

JAHRESLOSUNG 2022

Jahreslosung 2022

"Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen"

(Johannes 6,37)
Auslegung der Jahreslosung 2022 durch die Ratsvorsitzende der EKD, Präses Annette Kurschus

„Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen“, sagt Christus. Und: „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid.“ Und: „Lasst die Kinder zu mir kommen und hindert sie nicht.“ Und, und, und – immer ist die Botschaft: Keiner wird weggeschickt. Keine wird abgewimmelt. Niemand bleibt außen vor.

Zur Zeit erfahren und tun wir selbst überall das Gegenteil: Dichtmachen, Mauern bauen, Brücken abbrechen, Grenzen sichern, Abwehr stärken. Ist dieses Aufeinandertreffen Zufall? Anders als die täglichen Losungsworte wird eine Jahreslosung nicht ausgelost, sondern in einem langen Prozess demokratisch gefunden, von der Ökumenischen Arbeitsgemeinschaft für Bibellesen. An die fünfzig Vorschläge werden diskutiert und beraten, bis endlich per Wahl eine Entscheidung fällt. Menschen suchen ein Wort Gottes aus, von dem sie meinen: Dieses Wort ist jetzt dran. Man kann das kritisch sehen: Wird Gottes Wort hier benutzt?

Zugleich: Ist es nicht mit jedem biblischen Leitwort so, das wir sorgsam auswählen: Für Kirchentage etwa – oder an den markanten Zäsuren und Übergängen unseres persönlichen Lebens? Zur Taufe, zur Konfirmation, zur Trauung? Wir wählen ein biblisches Wort als Begleiter, weil wir darauf hoffen: Es hat seine eigene Stimme, seine eigene wundersame Kraft, die uns zum Leben hilft. Es mischt sich ein in den aktuellen Jammer der Welt und in die Erfahrungen meines eigenen kleinen Lebens. Steht immer wieder auch heilsam quer zur allgemeinen Stimmungslage. Stört mich selbst in dem, was ich immer schon dachte und zu wissen meinte.

„Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen“, sagt Christus. Diese Übersetzung verwischt, was er eigentlich sagt: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen.“ Ein abgewendeter Rauswurf. An seinem Ort im Johannesevangelium ein klares Wort Jesu an diejenigen, die bereits „drin“ sind und sich in seiner Nähe sicher wähnen, gewissermaßen „seine Leute“. Ein Wort an uns, die wir jetzt, zum Jahreswechsel, seine Nähe suchen. Der Blick zurück auf ein zu Ende gehendes Jahr prägt die Ausschau auf das, was kommen mag; jede versuchte Antwort ruft neue Fragen auf den Plan. Auch Fragen nach Gott, Fragen an Gott. Krankheit und Tod, Endlichkeit und Ohnmacht und Schuld können wir schon lange nicht mehr als tragische Abweichung vom „Normalen“ begreifen. Sie toben sich aus in der Mitte des Lebens und rücken uns hautnah auf den Leib. Tagtäglich. „Wer zu mir kommt“: Die Jahreslosung meint Sie und mich, wie wir auf der Schwelle des neuen Jahres zu Christus kommen: Gezeichnet und zerrupft, erschöpft und ungeduldig. Auch im Glauben erschüttert. Und plötzlich wird mir bewusst, er sagt es tatsächlich zu mir. Er macht mir klar: Du bist hier, bei mir, weil ich dich hier will. Immer noch und jetzt erst recht. Du fliegst hier nicht raus, weil ich das Entscheidende für dich und die Welt längst getan habe. Du darfst hier bleiben trotz deines manchmal so elend unbeholfenen, so erschütternd ratlosen und bisweilen auch reichlich selbstverliebten Eilens von Tag zu Tag, von Jahr zu Jahr. „Ich werde dich nicht hinausstoßen“: Dieses göttliche Versprechen stellt mich aufrecht und wach in die Gegenwart. Denn wenn ich tatsächlich da bleiben darf, bei Christus, dann gehen mir die Augen auf dafür, wobei es in dieser Welt um Gottes und der Menschen willen nicht bleiben darf. Ich kann den nüchternen Blick wagen – und muss beherzte Taten und Zeichen riskieren: Türen aufmachen, auf die Straße gehen, bei den Ungeliebten sein, Hassgeschrei entgegentreten.
Machen Sie mit? Gott schenke uns ein gesegnetes Jahr 2022. 

Gebet

Danke, Jesus Christus, dass du mich nicht hinausstößt aus deiner Nähe. Trotz allem. Hilf mir, dass aus meinem Staunen darüber Mut wächst.

Mut, um zu sagen und zu tun, was Türen und Herzen öffnet. Amen.

Quelle: Zuerst erschienen in UNSERE KIRCHE, der Zeitung mit der guten Nachricht.

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AUSLEGUNG DER JAHRESLOSUNG 2021

Jesus Christus spricht: Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist!  
(Lukas 6,36)

Barmherzig sein – sich erbarmen: In unserem Alltag kommen diese Worte kaum mehr vor. Die Bibel bewahrt sie weiterhin für uns auf als kostbaren Schatz.

Barmherzig sein – sich erbarmen: Das sind wunderschöne Worte! Sie stammen – so belehrt uns das etymologische Wörterbuch der deutschen Sprache – aus der gotischen Kirchensprache. Und die wiederum hat sie umgebildet aus den althochdeutschen Wörtern „ab-armen“ – „von Not befreien“ und „armherzig“ sein – „ein Herz für die Armen haben“. Wer barmherzig ist, kann gar nicht anders, als unmittelbar etwas zu tun. Der Impuls des Herzens fließt direkt in die Hände und Füße. Wer sich erbarmt, leistet spontan praktische Hilfe.

Friedrich Nietzsche lässt seinen Zarathustra abfällig sagen:
Wahrlich, ich mag sie nicht, die Barmherzigen, die selig sind in ihrem Mitleid; zu sehr gebricht es ihnen an Scham. … Denn dass ich den Leidenden leiden sah, dessen schämte ich mich um seiner Scham willen; und als ich ihm half, da verging ich mich hart an seinem Stolze.
(Aus: Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra)

Viele haben Barmherzigkeit in diesem Verdacht, und bisweilen mag sie tatsächlich so daherkommen: Als Mitleid, das sich von oben herabbeugt und mehr kränkt als tröstet. Wer will Erbarmen, wenn es ein Almosen ist?
Wer will Barmherzigkeit, wenn sie der Münze gleicht, die wir dem Bettler mit herablassender Gebärde in den Hut werfen?
Solches Erbarmen, solche mitleidige Barmherzigkeit vergehen sich tatsächlich hart am Stolz des andern und achten dessen oder deren Würde gering.

Wilhelm Busch beschreibt in seiner unnachahmlichen Weise noch eine weitere, höchst subtile Facette der Barmherzigkeit, von der sich wohl niemand so ganz freisprechen kann:

Wenn mir mal ein Malheur passiert,
ich weiß, so bist du sehr gerührt,
du denkst, es wäre doch fatal,
passierte dir das auch einmal.
Doch weil das böse Schmerzensding
zum Glück an dir vorüberging,
so ist die Sache andrerseits
für dich nicht ohne allen Reiz.
Du merkst, dass die Bedaurerei
so eine Art von Wonne sei.
(Wilhelm Busch)

Beide Zitate zeigen: So wunderschön die Worte sind – so schillernd können sie sein.

Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. (Lukas 6,36)
Die diesjährige Jahreslosung hat weder die generöse Herablassung der Almosenspender im Blick – noch die Häme derer, die von Unbill verschont blieben.
In der Bibel sind Barmherzigkeit und Erbarmen zunächst gar keine menschlichen Tugenden oder Haltungen oder Eigenschaften.
Auch markieren sie nicht primär eine Forderung Gottes an uns.

Ihr Subjekt ist zuallererst Gott selbst:
Der HERR ist barmherzig und gnädig und geduldig und von großer Gnade und Treue.  
(2. Mose 34,6 und viele Parallelen)

Gott seinerseits ist barmherzig mit uns.
Daraus folgt alles andere.
Gott steht in Not zu uns, öffnet uns sein Herz, ist ansprechbar für meine kleinen Kummer und meinen großen Jammer, führt mich hinaus aus bedrückender Enge in verheißungsvolle Weite.
Wer das erfährt, mag solche Erfahrung an andere Menschen weitergeben – dankbar und selbst gestärkt.
Wer das erlebt, mag barmherzig werden und sich anderer erbarmen.

„Ist Gott nicht auch barmherzig?“, lautet die Frage 11 des Heidelberger Katechismus. Das verblüfft.„Was heißt hier `auch`?“, möchte man zurückfragen. Und ahnt zugleich:Der Heidelberger macht ernst mit unserer menschlichen Erfahrung.Gott ist nicht barmherzig „von Beruf“.
Vielmehr will uns manchmal scheinen, er sei ohne Augen, ohne Ohren, ohne Mitgefühl. Im Jahr 2020, das hinter uns liegt, haben viele nach Gott gefragt. Öffentlicher und lauter haben sie nach Gott gefragt als in den Jahren zuvor. Und konnten sich keinen Reim darauf machen, wie ihr Erleben während der Pandemie und die Liebe Gottes zusammenpassen.

Vielleicht liegt darin sogar eine ungeahnte Frucht der vergangenen Monate mit ihren Einschränkungen und Ängsten: Gott ist intensiv ins Gerede gekommen. Die Frage nach ihm kam mit neuer Wucht ins Spiel. Und unsere schöne und schwere Aufgabe als Christinnen und Christen ist es nun umso mehr, von Gott zu reden. Nicht, indem wir schnelle und leicht-fertige Antworten geben. Nicht, indem wir Gott zu erklären versuchen oder ihn aus manchem Geschehen wegerklären.
Die Frage nach Gott wachzuhalten; gemeinsam um Gottvertrauen zu ringen, jeden Tag neu: Das ist es, was die Welt von uns braucht und erwartet. Mehr nicht. Und nicht weniger.
Es ist schwer, mit anderen nicht nur den Glauben und manche Gewissheit zu teilen, sondern auch den Schmerz an Gott zuzulassen und zur Sprache zu bringen.
Und: Es kann überraschend befreiend und tröstlich sein. Für uns selbst wie für andere.

Gott ist ja offensichtlich nicht der allzeit „liebe Gott“, der in indifferenter Harmlosigkeit seine Güte über alles und alle ausschüttet. Wir erfahren auch den verborgenen Gott, den wir nicht begreifen. Den zornigen Gott, der Unrecht Unrecht nennt. Den strengen Gott, der sich uns mahnend in den Weg stellt.
Ob das die andere Seite der Barmherzigkeit ist, ohne die Barmherzigkeit nicht barmherzig wäre?

Es ist sicher,
dass wir schneller fahren,
höher fliegen und weiter sehen können
als die Menschen früherer Zeiten.
Es ist sicher,
dass wir mehr abrufbares Wissen zur Verfügung haben
als jemals Menschen vor uns.
Es ist sicher, dass Gott sein Wort niemals zu einer besser genährten,
gekleideten und bessergestellten Gemeinde sprach.
Nicht sicher ist, wie wir bestehen werden vor seinem Blick.
Vielleicht haben wir mehr Barmherzigkeit nötig als alle, die vor uns waren.
(Lothar Zenetti)

Ja, ich hoffe für mich auf Barmherzigkeit.
Nicht zuletzt im Rückblick auf ein Jahr, in dem so viele, die unsere Barmherzigkeit bitter nötig gebraucht hätten, an den Rand des öffentlichen Interesses oder ganz aus dem Blick geraten sind. Auch aus meinem Blick. Die Pandemie hat unsere Perspektive auf erschreckende Weise enggeführt. Über Monate hinweg schien es nur eine einzige Gefahr zu geben, der unsere gesammelte Aufmerksamkeit galt.
Wer mag währenddessen unser Erbarmen vermisst haben – ganz in der Nähe und in der weiten Welt? Wem bin ich selbst Barmherzigkeit schuldig geblieben im steten Kreisen um Abstand-Halten, Hygiene-Maßnahmen und Alltagsmasken?

Denn sein Zorn währet einen Augenblick, und lebenslang seine Gnade“, heißt es im 30. Psalm (Psalm 30,6).
Gottes Ja ist größer als sein Nein: Dafür steht Jesus Christus mit seinem Leben und Sterben – und seinem Auferwecktsein aus dem Tod. Gott sagt Ja – sogar durch Sterben und Tod hindurch: Von diesem Überschuss der göttlichen Gnade leben wir. Im besten Fall macht dieser Überschuss der göttlichen Gnade uns barmherzig mit anderen, womöglich sogar barmherzig mit uns selbst. Und weitet unseren persönlichen und öffentlichen Blick im neuen Jahr endlich wieder über den Bannkreis eines tückischen Virus´ hinaus.

 Dr.h.c. Annette Kurschus,
Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen

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